Gino Hahnemann war ein ostdeutscher Bohémien, der sich in den 1980er Jahren genreübergreifend in den unabhängigen Literatur-, Kunst- und Filmszenen betätigte und sie mit der Schwulenszene bekannt machte. Seinen Nachlass bewahrt die Akademie der Künste in Berlin auf.
Im alternativen Milieu der DDR war Gino Hahnemann seit den 1970er Jahren genreübergreifend als Autor, Fotograph, Bühnenbildner und Filmemacher bekannt. Im alternativen Milieu agierte er als einer der aktivsten Super-8-Filmer. Künstlerinnen wie Gabriele Stötzer oder Cornelia Schleime wurden durch seine Filme stark beeinflußt. Auf verdeckten Wegen nahm er damit in den 1980er Jahren auch an internationalen Festivals in Westberlin, Den Haag und New York teil.
Selbst wenn Politik ihn nur mäßig interessierte, wird er als Autor in Verbindung gebracht mit der "Prenzlauer-Berg-Connection" (Adolf Endler), einem Netzwerk von Autoren, die jenseits der offiziellen Kulturpolitik mit unabhängig produzierten und experimentell verfassten Texten auch gesellschaftlich subversiv wirken wollten.
Hahnemann gelang als einem der ersten und wenigen, in die Literatur der DDR eine weitgehend unterdrückte "schwule Erfahrung" (Peter Böthig) einzuschreiben. Er lebte offen homosexuell, schrieb neben der Arbeit viele Gedichte und zahlreiche Prosastücke und gilt als einer der ersten DDR-Autoren die sich in ihren Werken mit Homosexualität auseinandersetzten. Er sah sich immer dem künstlerischen „Untergrund“ zugehörig. In den 80er erschienen seine Lyrik- und Prosawerke in Untergrundzeitschriften wie dem „Schaden“, “Entwerter/Oder”, “U.S.W.”, der „Ariadnefabrik“ und vielen anderen.
Zur gleichen Zeit experimentierte er auch intensiv mit den Möglichkeiten der Super-8-Filmtechnologie und setzt seine eigenen Drehbücher als unabhängiger Regisseur um. Seine Filme werden auf internationalen Festivals aufgeführt. Ohne seine Arbeiten - so der Historiker Claus Löser - hätte sich die unabhängige Filmszene der DDR ganz anders entwickelt. Auch als Filmemacher war er Teil des „Untergrunds“ und entwarf mit seinen Filmen einen eigenen, unabhängigen Blick auf die DDR-Wirklichkeit.
Der Germanist und Literaturwissenschaftler Peter Böthig schrieb "Der Bildkünstler Gino Hahnemann denkt und arbeitet mehrdimensional, körperbetont, visuell. Die Stärken seiner Texte liegen dort, wo sie auf eine unmittelbare Körperlichkeit insistieren, wo sich Begegnungen, Gefühle, die Ambivalenz des Begehrens in einer kühlen Sprache, die sich zuweilen selbst thematisiert, wiederfinden. Diese Spache ist voller Energie, spröde, brutal und assoziativ. Gino Hahnemanns Texte, die von sich aus Genre – und Körpergrenzen überschreiten, sind nicht kolonisiert im Gattungsmuster. Gedichte können Filme werden, Essays Drehbücher. Dies Verwischen der Grenzziehungen gehört zum Projekt einer sozialen und literarischen Selbstbefreiung."
Nach 1990 blieb er weiter künstlerisch tätig. Gino Hahnemann starb 2006.
Gemäß ihrer Sammelschwerpunkte erwarb die Akademie der Künste zwei Jahre später seinen privaten und künstlerischen Nachlass.
Inhaltsbeschreibung
Die Sammlung zeigt Gino Hanemanns künstlerisches Schaffens in seiner gesamten Breite. Neben privaten Dokumenten sind Materialien zu seiner Filmarbeit, die Drehbücher, Theaterstücke, Entwürfe von Bühnenbildern, Programmhefte, Plakate und zahlreiche Prosa- wie Lyriktexte nebst selbst publizierten Künstlerbüchern überliefert. Die mehr als vier laufenden Regalmeter an Dokumenten erstrecken sich über einen Zeitraum von 1939 bis 2006.
Löser, Claus. Strategien der Verweigerung : Untersuchungen zum politisch-ästhetischen Gestus unangepasster filmischer Artikulationen in der Spätphase der DDR, Berlin: DEFA Stiftung, 2011.
Galek, Franziska , interview by Sonnenberg, Uwe, January 09, 2017. COURAGE Registry Oral History Collection