In dem Berliner "Archiv Lied und Soziale Bewegungen" werden Zeugnisse aus der Singe- und Liedermacherbewegung der DDR seit den 1960er Jahren gesammelt. Die von einem gemeinnützigen Verein verwalteten Materialien zeigen auf, wie schwierig es mitunter wird, kulturelle Opposition allein zwischen den Polaritäten staatstragend und systemfeindlich zu untersuchen.
Die internationale Folk-Welle, insbesondere aus den USA und Lateinamerika, ließ Mitte der 1960er Jahre auch in der DDR eine Singe- und Liedermacherbewegung entstehen. Sie waren nicht apriori Ausdruck kultureller Opposition im Lande. Den meisten der seit Mitte der 1960er Jahre zunächst unabhängig und selbstverwaltet aufgebauten Singegruppen wurden schnell ihre Freiräume gestrichen und sie für staatsoffizielle Politik instrumentalisiert. Doch behielten viele untereinander weiterhin einen vergleichsweise basisdemokratischen Charakter bei. Und nicht wenige unter denen, die sich zunächst in den Clubs und Veranstaltungen der Singebewegung einfanden, gehörten nur Jahre später zu denjenigen, die prominent gegen engstirnige kulturelle Grenzen und versteinerte politische Strukturen im Lande aufbegehrten, darunter so unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler wie Bettina Wegner, Tamara Danz, Hans-Eckart Wenzel, Stephan Krawczyk oder Gerulf Pannach.
In einer Überblicksdarstellung zur Geschichte der Singebewegung in der DDR heisst es über deren Liedkultur, sie sei "gebraucht und mißbraucht, hochgeschätzt (Nationalpreis) und gefürchtet (Knast, Ausbürgerung)" worden sowie "Agitation und Akklamation, Chronik und Kritik, Ventil und Widerstand" gewesen (Vgl. Kirchenwitz: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR, 1993, Buchumschlag). Vor diesem Hintergrund lässt sich mit der Sammlung Lied und Soziale Bewegungen kulturelle Opposition als Graubereich zwischen den Polaritäten staatstragend und systemfeindlich wie auch in den Graubereichen der Gesellschaft der DDR untersuchen.
Die vom Verein Lied und Soziale Bewegungen zusammengetragenen Archivalia stammen zu großen Teilen aus privaten Beständen früherer Mitglieder und Anhänger der Liedermacher- und Singebewegung. Der Verein konnte aber ebenso Material aus dem Fundus des 1993 eingestellten Jugendradiosenders DT64 übernehmen. Er arbeitet eng mit dem Deutschen Rundfunkarchiv in Potsdam-Babelsberg und der Berliner Akademie der Künste zusammen.
Inhaltsbeschreibung
Neben einem Plakat- und dem Tonarchiv ist das Liedblattarchiv hervorzuheben. So wie es in der DDR zu einer politischen Kulturtechnik geworden war "zwischen den Zeilen" zu lesen, so konnte "zwischen den Zeilen" auch gehört werden. Insgesamt befinden sich 635 Liedblätter im Archiv Lied und Soziale Bewegungen, darunter viele Beiträge des früheren Festivals des politischen Liedes (1970-1990). Zwar wurde dieses offiziell vom Jugendverband Freie Deutsche Jugend ausgerichtet. In das Programm - insbesondere auf den kleinen Nebenbühnen - konnten jedoch immer wieder "anstössige" Gruppen und Liedermacher eingebaut werden. Vor allem die internationalen Beiträge kamen für das Kulturleben des Landes wie oftmals auch für kritische Geister einer Frischzellenkur gleich.