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Kino und Widerstand – Verbotene Filme

Kino und Widerstand – Verbotene Filme

Diese Unterrichtseinheit befasst sich mit dem Kino der 60er und 70er Jahre und untersucht den Film als Medium der Kritik am totalitären Regime. SchülerInnen der Mittel- und Oberstufe werden an wohlbekannte Beispiele verbotener Filme der ehemaligen sozialistischen Länder herangeführt. Vorrangiges Ziel ist es, die politischen Gründe zu erkunden, die zu Verbot und Sperre bestimmter Filme führten sowie auch zu Sanktionen und zur Herabwürdigung zahlreicher kritischer Filmemacher. Den SchülerInnen wird durch Filme und Sequenzen sowie auch die zur Verfügung gestellten Links und Aufgaben ein tieferer Einblick in die sozialistische Kulturpolitik, die Mechanismen der Zensur und in die Grenzen, die den Filmschaffenden auferlegt wurden, gewährt. Es soll gezeigt werden, dass die Filmemacher trotz alledem – oder besser, gerade deshalb – herausragende Meisterwerke schufen, auch wenn diese von den Machthabern abgelehnt wurden.

Konzepte:

  • Kulturpolitik
  • Zensur
  • staatliche Zensur
  • Filmzensur
  • Selbstzensur
  • Propaganda
  • Propagandafilme
  • Amateurfilme

Kompetenzen

Durch den Kurs sollten die SchülerInnen:

  • die Hauptbereiche des Kinos in Zeiten des Staatssozialismus kennenlernen,
  • den Kontext des Kinos dieser Zeit im Hinblick auf die Situation im eigenen Land bewerten können,
  • die Funktionsmechanismen von Zensur und Selbstzensur verstehen,
  • das Zusammenspiel von Anpassungsbereitschaft und Oppositionskultur nachvollziehen können
  • sowie auch die Formen und Auswirkungen der Filmpropaganda verstehen.

Einstellungen: Die SchülerInnen sollten

  • für künstlerische Ansätze im Bereich des Films sensibilisiert werden,
  • komplexe Analysen der Verhältnisse zwischen Filmemachern und Machthabern durchführen können,
  • die Autonomie der Kunst und Musik wahrnehmen und
  • die Formen des Widerstands gegen die Vorgaben der Partei erkennen können.

Wissen: Die SchülerInnen sollten

  • außerdem dazu in der Lage sein, über das Kino im Hinblick auf die Situation im eigenen Land zu recherchieren,
  • in den Filmen die Merkmale der Propaganda wiedererkennen können und
  • durch das Ansehen von Filmen und Sketchen ein Gespür für Kunst entwickeln.

Die Unterrichtseinheit kann dazu beitragen, dass folgende Wissens- und Kompetenzbereiche erweitert werden: Fähigkeit der kritischen Reflexion, Wissensvertiefung sowie Grundwissen über die Mechanismen und Gründe der Filmzensur im Sozialismus.

by Barbara Hegedüs

Das Wesen der Zensur

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Zensur zum wichtigsten Instrument der totalitären Regime in Mittel- und Osteuropa, um ihre Macht zu erhalten. Ziel war es, die für die Öffentlichkeit zugänglichen Informationen in jedem der Länder des Ostblocks einzuschränken und zu filtern. Die Mechanismen funktionierten ähnlich: Es gab ein Gremium unter direkter Aufsicht der kommunistischen Partei, das für die Implementierung der Zensur zuständig war, obwohl der Zensurbegriff selbst nie in Gebrauch war. Die Zensurpraxis variierte je nach Zeit und Ort in Umfang und Ausmaß; doch auch wenn sie aufgrund von politischem Wandel zeitweilig moderater oder strikter ausfiel, blieb sie in ihrem Kern und ihrer Zielsetzung unverändert.

Obwohl alle Kunstbereiche betroffen waren, hatte vor allem die Filmindustrie unter der kommunistischen Zensur zu leiden. Filmfabriken wurden verstaatlicht und die Filmemacher von der Kulturpolitik kontrolliert. In den meisten Ländern gab es zwar keine gewaltsame Unterdrückung, zahlreiche kritische und widerständige Intellektuelle sowie Künstler wurden jedoch als Verräter gebrandmarkt und stigmatisiert. Die Künstler entwickelten Methoden, um ihre Botschaften zu verschleiern und die Zensur zu umgehen: Kritik gegenüber dem System wurde in den Filmen nie direkt geübt, sondern nur implizit angedeutet. Oftmals ging es in den Filmen um historische Ereignisse, die Parallelen zur Gegenwart aufwiesen. Die Zensoren konnten dagegen nur schwer Einwände erheben, wobei aufmerksame Zuschauer in der Lage waren, die richtigen Rückschlüsse zu ziehen. Die Filme schafften es mithilfe einer kodierte Sprache unauffällig am Regime Kritik zu üben. Miklós Jancsós Film Die Hoffnungslosen (Szegénylegények, 1965) spielt sich zum Beispiel in der Zeit nach der ungarischen Revolution und dem Unabhängigkeitskrieg von 1848/49 ab und handelt von dem manipulativen Wesen einer Diktatur. Durch Motive des Verhörens, der Einschüchterung und Denunziation werden unverkennbar Anspielungen auf die Ungarische Revolution von 1956 und die Ära Kádár gemacht. Sowohl die Alexander Bach Ära in der Habsburgermonarchie (nach 1849) und die Kádár-Ära (nach 1956) waren sogenannte „weiche Diktaturen“ mit raffinierten und von Rache getriebenen Machttechniken, die in erster Linie durch das Militär und das Überwachungssystem gestützt wurden.

Regimekritische Spielfilme aus Osteuropa erhielten auf internationalen Festivals des Öfteren renommierte Auszeichnungen. Andrzej Wajdas Film Der Mann aus Eisen (Czlowiek z zelaza, 1981) zum Beispiel, der die Entstehung der Solidaritätsbewegung zeigt, wurde auf den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Mutter Johanna von den Engeln (Matka Joanna od aniolow, 1961) von Jerzy Kawalerowicz erhielt mit einer Geschichte über Exorzismus im Mittelalter in Cannes den Sonderpreis der Jury. Ferenc Kósa gewann in Cannes den Preis für die beste Regie im Film Zehntausend Tage (Tízezer nap), der sich über einen Zeitraum von 30 Jahren erstreckt und von dem Schicksal zweier Männer, einem ungarischen Dorf und seinen Bewohner handelt. Jiří Menzels Liebe nach Fahrplan (Sledované vlaky) aus dem Jahr 1967 erzählt eine groteske Geschichte über zwei vergessene Männer, die während des Zweiten Weltkrieges auf einem Bahnhof arbeiteten. Der Film gewann 1968 einen Oscar.

Roman Polanskis Das Messer im Wasser (Nóz w wodzie, 1962), ein ergreifender Thriller mit nur drei Darstellern, der sich komplett isoliert von der Außenwelt auf einem Segelboot abspielt, erhielt eine Oscar-Nominierung. Im Jahr 1968 wurde auch Miloš Forman mit seinem Spielfilm Der Feuerwehrball (Hoří, má panenko) für den Oskar nominiert. Der Film schildert ein provinzielles Feuerwehrfest, das in tragikomischer Weise außer Kontrolle gerät. István Szabó war mehrere Male nominiert und gewann schließlich im Jahr 1981 mit Mephisto den begehrten Filmpreis. In dem Film geht es um das Verhältnis zwischen dem Künstler und den Machthabern im Deutschland der 30er Jahre.

Widerständige Aktivitäten und Kritik stießen jedoch oft an ihre Grenzen. Die Legitimität des Sozialismus durfte nicht infrage gestellt und Verbrechen des Stalinismus lange Zeit nicht verbildlicht werden. Es war nicht ratsam, die Sowjetunion zu kritisieren, die gescheiterten Revolutionen anzupreisen oder die staatlichen Interventionen zu verurteilen. Die sozialistische Zensur war oft erbarmungslos gegenüber erotischen Darstellungen, die als normabweichend empfunden oder von Amtspersonen als deviant eingestuft wurden – wie etwa die LGBT-Szene.

In der Sowjetunion war, wie auch in Rumänien und Bulgarien, die Filmzensur viel rigoroser als in Ungarn und Jugoslawien. Künstler aus den erstgenannten Ländern unterlagen besonders strengen Beschränkungen. In Jugoslawien, der Tschechoslowakei und Ungarn genossen die Künstler mehr Freiheit, wenn auch nur phasenweise, insbesondere wegen außerordentlichen politischen Ereignissen – dem Prager Frühling oder der 68er-Bewegung in Polen.

Sowjetunion

Für Vladimir Ilich Lenin (1870-1924) war der Film die wichtigste Kunstform – sprich das effektivste Propagandainstrument – des Sozialismus. In der Sowjetunion blieben strikte autoritäre Kontrollen der Filme bis zum Ende der 1980er Jahre bestehen. Der Sprachgebrauch im Film musste im Vor- (oder Nachhinein) von der Zensur abgesegnet werden, oder die Filmemacher passten diesen freiwillig den Erwartungen der Zensur an. Tabubrüche hatten ernsthafte Konsequenzen und führten nicht selten zu Exil oder Festnahme.

Einer der größten sowjetischen Filmregisseure, Sergei Eisenstein, selbst bekennender Befürworter des Kommunismus, wurde mehrere Male dazu gezwungen öffentlich Selbstkritik zu üben. Andrei Tarkovsky war ebenso erheblichen Einschränkungen unterworfen. In den 60er und 70er Jahren wurden seine Drehbücher ständig abgelehnt, die Drehaufnahmen selbst des Öfteren gestört und die Filme aufs schärfste kritisiert. Tarkovsky wanderte 1984 schließlich aus der Sowjetunion aus.

Mihail Kalik, Filmemacher des Sowjetischen New Wave, der in die Lagerhaft Gulag geschickt wurde, hatte in seinem Film Der Sonne entgegen (Chelovek idet za solntsem, 1961) eine kurze erotische Szene, die von Khrushchev, dem Partei- und Regierungschef der Sowjetunion, abgelehnt wurde. Neben dieser einen Filmsperre wurden folglich auch die nächsten beiden Filme des Regisseurs aus dem Verkehr gezogen.

„Sowjetische“ Amateurfilme genossen mehr Freiheit im Vergleich zu Filmen, die innerhalb des offiziellen Rahmens produziert wurden, und konnten sich größere Abweichungen von den vorgeschriebenen Anforderungen und der Ideologie erlauben. Ihr namhaftester Vertreter war der litauische Rocksänger und Filmemacher Arturas Barysas-Baras (1954-2005). Barysas-Baras hatte einen extravaganten Kleidungsstil und legte ein dementsprechendes Verhalten an den Tag. Er schaffte es aber trotzdem, Auseinandersetzungen mit dem Regime zu umgehen, weil er zum einen extrem kurzsichtig war, und darüber hinaus Sohn eines Angestellten aus dem Büro des litauischen Premierministers. 1979 wurde sein Film Jos Meilé (dt. Ihre Liebe) von der Zensur erfasst, was dazu führte, dass ihm die Teilnahme an Festivals verwehrt und sein Film ein Jahr lang verboten wurde.

Eine bedeutende Rolle in der Zensurgeschichte kommt nach Vidmantas Gaigalas, dem Vorsitzenden des Litauischen Verbandes der Amateurfilmer, auch dem Regisseur Norvaišas zu, der in seinem Film das litauische Wappen Vytis darstellte, welches vom sowjetischen Regime verboten und als ernsthafter Tabubruch mit strengen Sanktionen geahndet wurde.

 

 

Jugoslawien

In Jugoslawien war die Zensur nicht gesetzlich verankert, wenngleich sie in komplexer Form auf vielfältige Art und Weise präsent war. Filmemacher hielten sich für gewöhnlich an die Prinzipien der Zensur  – im Zweifelsfall wurde Selbstzensur betrieben. Die Machthaber schreckten dennoch nicht vor öffentlichen Vergeltungsmaßnahmen zurück.

Branko Marjanovićs politische Satire Ciguli Miguli aus dem Jahr 1952, die an der sowjetisch geprägten Bürokratie Kritik übte, wurde für 25 Jahre verboten. Der Film W.R.: Misterije Organizma (dt. Mysterien des Organismus) aus dem Jahr 1971, von Dušan Makavejev, einem der Begründer der jugoslawischen Schwarzen Welle, wurde wegen seiner ironischen Darstellung der Härte des kommunistischen Regimes für 15 Jahre verboten. In die Liste der bekanntesten Filme der schwarzen Welle reiht sich auch Plastični Isus (dt. Plastik Jesus, 1971) von Lazar Stojanović ein. Den Zensoren zufolge hätte der serbische Regisseur mit diesem Film nicht nur politische und sexuelle Tabus gebrochen und das jugoslawische Staatsoberhaupt Tito beleidigt, sondern auch das gesamte sozialistische System provoziert. Plastic Jesus wurde nicht nur verboten, Stojanović wurde darüber hinaus als abschreckendes Beispiel vor Gericht gebracht und zu drei Jahren Haft verurteilt.

Der serbische Regisseur Želimir Žilnik war ein weiteres, sehr bedeutendes Mitglied der Jugoslawischen Schwarzen Welle. 1969 wurde er in Berlin für seinen Film Rani radovi (dt. Frühe Werke), der die Folgen der sowjetischen Invasion der Tschechoslowakei im Jahr 1968 zeigt, mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. In den frühen 70ern floh er, um die Zensur zu umgehen, nach Westdeutschland und kehrte erst am Ende des Jahrzehnts nach Jugoslawien zurück.

Bulgarien

Die bulgarische Kinolandschaft orientierte sich zunächst an bewährten sowjetischen Mustern, wenngleich die Repressionen im Kulturbereich nach der Ungarischen Revolution aus dem Jahr 1956 anstiegen. Binka Dimitrova Zhelyazkova, die erste Regisseurin Bulgariens, war eine kontroverse Figur. Als überzeugte Kommunistin wurde sie mit mehreren offiziellen Preisen ausgezeichnet, obwohl sich ihre Filme mit Korruption, Machtüberschreitungen sowie auch den Widersprüchen zwischen der kommunistischen Idee und dem sozialistischen Staat auseinandersetzten. Ihr erster Film Das Leben fließt leise dahin (Zhivotut si teche ticho,1957), den sie zusammen mit ihrem Ehemann Hristo Ganev drehte, wurde verboten – es war weder erlaubt über ihn zu schreiben noch zu sprechen. Einer der Gründe für das Verbot war die Darstellung der Kommunisten als unvollkommene Menschen aus Fleisch und Blut anstelle makelloser Helden. Ihr nächster gemeinsamer Spielfilm A byahme mladi (dt. Wir waren jung, 1961) übte ebenso Kritik am Kommunismus, doch da er namhafte internationale Preise bekam, wurde er auch in Bulgarien ausgezeichnet. Trotzdem lehnte die Parteiführung jedes ihrer nachfolgenden Filmprojekte ab. Der zugeschnürte Ballon (Privarzaniyat balon) aus dem Jahr 1967 wurde direkt nach der Premiere verboten, und Zhelyazkova durfte die nächsten fünf Jahre keine Filme mehr drehen. 2002 wurde ein Dokumentarfilm über ihr Leben namens Binka: Eine Geschichte über die Stille (Бинка. Да разкажеш приказка за мълчанието) gezeigt.

DDR

Obwohl die Verfassung der DDR, die 1949 verabschiedet und 1968 erweitert wurde, in ihren Grundsätzen Meinungs- und Pressefreiheit vorsah, befähigte eine restriktive Formel die Partei dazu, Filme mit Verweis auf den Geschmack des Publikums oder die nationale Sicherheit zu verbieten. Betroffen war unter anderem auch der Film Das Kaninchen bin ich (1965) von Regisseur Kurt Maetzig, der auch Propagandafilme drehte. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, den man wegen Provokation des Staates verurteilte. Er wurde zusammen mit elf weiteren Filmen im Zuge des XI. Plenums des Zentralkomitees der SED als staatsgefährdend eingestuft.

Die Spur der Steine aus dem Jahr 1966 von Frank Beyer wurde nur drei Tage nach der Uraufführung auf die schwarze Liste gesetzt. Das gleiche Schicksal erlitt Frank Vogels Film Denk bloß nicht, ich heule (1965), der die Unterdrückung kritischer Jugendlicher durch das Ostdeutsche Schulsystem thematisierte, und von den Machthabern abgelehnt wurde.

Tschechoslowakei

Auch die Tschechoslowakei träumte zeitweilig von einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ und strebte, ähnlich wie Ungarn, danach mit einer Reihe preisgekrönter Filme auf internationaler Ebene präsent zu sein – bis die sowjetische Besatzung von 1968 dieser goldenen Ära ein Ende setzte. Drahomira Vihanovas Film Ein totgeschlagener Sonntag (Zabitá nedele) durfte weder in den Handel gelangen noch im Ausland gezeigt werden. Der slowakische Filmregisseur Elo Havetta wurde alkohol- und drogensüchtig und beging Selbstmord, nachdem zwei seiner Filme verboten wurden. Evald Schorm, Ivan Passer und Jan Nemec durften keine Regie mehr führen, während die Filme Lerchen am Faden (Skřivánci na niti, 1969) von Jiří Menzel und Der Feuerwehrball (Hoří, má panenko, 1968) von Miloš Forman, der später in die USA auswanderte, mit Aufführungsverbot belegt wurden. Menzels Film wurde im Jahr 1990, 21 Jahre später, auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

Tschechoslowakische Amateurfilme waren, ähnlich den Jugoslawischen, viel waghalsiger und provokativer als Filme, die für das offizielle Kino produziert wurden. Rudolf Mihle war ein bekannter Amateurfilmer, der in erster Linie Dokumentarfilme und Wochenschauen drehte. Obwohl man ihn nie auf die schwarze Liste der Filmschaffenden setzte, wurden mehrere seiner Filme von den Zensoren gestoppt, darunter Namenlos (1964), Kleiner historischer Überblick 1918–1968 (1968) sowie Die ersten Stunden der Besetzung (1968), und auf den Index der verbotenen Filme gesetzt.

Polen

In Polen war die Filmindustrie nicht verstaatlicht und die Filmemacher suchten oft nach internationalem Rückhalt, um ihre Filme zu drehen. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre, nach einer liberalen Phase, die Raum für Experimente zuließ, spitzte sich die Situation zu. Im Jahr 1968 wuchsen politische Konflikte innerhalb der Parteien: Offener Antisemitismus wurde Teil des offiziellen Parteiprogramms, und es gab unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Filmproduktion abzulaufen hatte. Die ‚Säuberungsaktionen‘ machten auch von der Filmindustrie nicht Halt. Mehrere Regisseure wurden auf die schwarze Liste gesetzt und gezwungen öffentlich Selbstkritik zu üben, um nicht als Verräter der Nation abgestempelt zu werden. Die Machthaber führten eine Umstrukturierung der Film-Fachpresse, der Universitäten und der Filmstudios durch. Alte Kader wurden durch Linientreue ersetzt. Das Verbot von Jerzy Skolimowskis Hände hoch! (Rece do góry) aus dem Jahr 1967 hat man als unheilvolles Zeichen interpretiert. Skolimowski wurde zusammen mit seinem Werk wegen seiner Darstellung der Ära Stalin aus dem Land verwiesen. Andrzej Wajdas Mann aus Eisen (Człowiek z żelaza, 1981) war in allen sozialistischen Staaten verboten, obwohl er mit der höchsten Auszeichnung der Filmfestspiele in Cannes prämiert wurde.

Ungarn

Nach der Revolution im Jahr 1956 nahm György Aczél als wichtigster Vertreter der ungarischen Kulturpolitik bei der Konsolidierung des Systems bis zu den frühen 80ern eine Schlüsselposition ein. Seine drei Richtlinien „Verbot, Toleranz und Unterstützung“ dienten ab den 1960er Jahren der Kategorisierung der Künstler. Mehrere kritische Filme wurden von ihm geduldet und durften auf internationalen Festivals nominiert werden; er ließ jedoch auch einige Filme verbieten. Zugleich wurde 1961 auf Initiative junger Regisseure das Balázs Béla Stúdió (BBS) errichtet, an dem AbsolventInnen von Filmschulen Filme drehen konnten, ohne sie zu veröffentlichen. Da die Filme nach ihrer Fertigstellung nun nicht mehr sofort an die Zensoren weitergegeben werden mussten, genossen die Filmemacher große Freiheit. Das Studio bot auch Amateurfilmern Arbeit.

Sándor Sáras Der geworfene Stein (Feldobott kő, 1968) spielt sich in den 50er Jahren ab. Der Film wurde in erster Linie wegen seiner unverblümten Darstellung der Situation der Roma und ihrer Behandlung in Ungarn sofort verboten. Ähnlich erging es auch dem Kurzfilm Gypsies (Cigányok, 1962), der zunächst mit einem Aufführungsverbot belegt wurde, um anschließend wieder freigegeben zu werden, nachdem er 1968 auf dem Kurzfilmfestival in Oberhausen mit einem Preis ausgezeichnet wurde.

https://videa.hu/videok/film-animacio/feldobott-ko-sara-sandor-1968-w4qW3OIsmBaU0xnn

Agitátorok (dt. Die Agitatoren, 1969) von Dezső Magyar, ein weiterer Film aus der Reihe der Béla Balázs-Produktionen, erlitt mit seiner Darstellung der Revolutionspraxis im Lichte des Terrors das gleiche Schicksal.

https://www.youtube.com/watch?v=vH4N_MJ2vvE

Péter Bacsós Zeuge (A tanú 1969) wurde aufgrund seiner satirischen Aufbereitung der Ära Rákosi für zehn Jahre von der Leinwand verbannt. Er wurde das erste Mal im Jahr 1979 regulär aufgeführt, und zwar im Közgáz Club der Universität für Wirtschaftswissenschaften, wobei er bereits dreimal in einem überfüllten Hörsaal gezeigt wurde.

https://videa.hu/videok/filmklub/film-animacio/a-tanu-reszlet-zYyzjZNd3RYdqNvo

Rumänien

Es gibt wohl kaum einen sozialistischen Film aus Rumänien, der nicht von internationalen Strömungen und innenpolitischen Neuerungen beeinflusst wurde. Kritik wurde jedoch nicht geduldet, auch nicht in allegorischer Form, und von der Zensur schnell im Keim erstickt. Dies führte dazu, dass künstlerisch wertvolle Filme jahrzehntelang in Archiven unter Verschluss lagerten. Lucian Pintilies ließ sich davon nicht abschrecken und stellte in seinem Film Reconstituirea (dt. Rekonstruktion, 1968) die Brutalität des Regimes explizit und ohne Kompromisse dar. Der Film wurde unmittelbar nach seiner Fertigstellung auf die schwarze Liste gesetzt.

Seit den 80er Jahren verlor die staatliche Zensur nach und nach an Bedeutung und wurde nach der Auflösung der sozialistischen Staatsparteien seit den 90er Jahren schließlich abgeschafft.

Die folgenden Aufgaben, die an den obigen Text anknüpfen, dienen dazu das Wissen über kritische und verbotene Filme im Rahmen von Hausaufgaben mittels eigenständiger Recherche zu erweitern und zu vertiefen.

 

Aufgaben in der Datenbank

  1. Finde weitere Filme und Regisseure in der COURAGE Datenbank, die Themen behandelten, die vom Regime als „störend“ empfunden wurden (ungarische Beispiele: Pál Schiffer, Tamás Almási, Péter Bokor, Gábor Hanák).
  2. Sammle über den Film Plastik Jesus und seine Produzenten in der COURAGE Datenbank so viele Informationen wie möglich. Bereite eine Präsentation darüber vor.
  3. Recherchiere über das Béla Balázs Studio (BBS). Finden Sie mithilfe der Datenbank Gemeinsamkeiten zwischen Sándor Sára und den anderen BBS-Regisseuren. Sieh nach Möglichkeit auch das BBS- Forschungsarchiv. Informiere dich über die Inhalte und bereiten Sie einen Bericht darüber vor.
  4. Wahr oder falsch? Finde die Antwort in der Datenbank. Falls die Informationen falsch sind, gebe die korrekte Antwort.

– Soziologe Istvány Kemény erforschte die Situation der Roma in Ungarn. Nachdem er in einer Präsentation über Minderheiten gesprochen hatte, die in Armut leben, wurde seine wissenschaftliche Arbeit komplett unterminiert.

– Gábor Bódy wandte in seinem Diplomfilm Amerikanische Ansichtskarte (Amerikai anzix, 1976) ein spezielles Verfahren, den sogenannten Lichtschnitt an, um dem Film ein archaisches Aussehen zu verleihen.

– Der polnische Fotograf Tytus Filipowicz überredete Jack Nicholson dazu, auf den Filmfestspielen von Cannes im Jahr 1981 einen Anstecker der Polnischen Solidaritätsbewegung zu tragen.

– Der ukrainische Journalist Viacheslav protestierte, unter anderem, gegen die Festnahmen aus dem Jahr 1965 und wählte die Vorführung von Sergei Paradschanows Film Feuerpferde als Schauplatz seiner Demonstration.

– Đuro Smicberger war Leiter des Komitees für Kontrolle und Genehmigung öffentlicher Filmvorführungen in der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik.

  1. Finde in der Datenbank Fotoaufnahmen von István Jávors Spielfilm Cséplő Gyuri. Ordne die Bilder beliebig an und verfasse zu der Bilderfolge eine Geschichte.

Weitere Aufgaben:

– Bereite eine Präsentation über die kinematografischen Auswirkungen und den Stil des Filmemachens vor, die die ungarische und tschechoslowakische Kinolandschaft in den 1960er Jahren beeinflussten.

– Vergleiche folgende Filmausschnitte! Was ist der Tenor ihrer Kritik, welche Elemente werden hervorgehoben?

(z. B. Der Zeuge, Der schwarze Peter, Daniel besteigt den Zug, Die Liebe einer Blondine)

  • Schaue dir folgende Filmausschnitte an. Wie ist die Jugend abgebildet?

(z. B. Die Zeit bleibt stehen, Der schwarze Peter, Daniel besteigt den Zug, Die Liebe einer Blondine, Asche und Diamant)

Referenzen

Aczél, György  1917-1991, Ungarn, Kulturpolitiker.

Arturas Barysas-Baras 1954-2005, Litauen, Filmemacher, Rocksänger.

Bacsó, Péter 1928-2009, Ungarn, Regisseur.

Beyer, Frank, 1932-2006, Deutschland, Regisseur.

Forman, Miloš 1932-, Tschechien, Regisseur.

Ganev, Hristo Kostadinov, 1924-, Bulgarien, Schriftsteller.

Havetta, Elo 1938-1975, Slowakei, Regisseur.

Gaigalas, Vidmantas 1957-, Litauen, Vorsitzender des Verbandes litauischer Amateurfilmer.

Jancsó, Miklós 1921-2014, Ungarn, Regisseur.

Kalik, Mihail 1927-2017, Russland, Regisseur.

Kawalerovicz, Jerzy 1922-2007, Polen, Regisseur.

Khrushchev, Sergeevich Nikita, 1894-1971, Russland, Politiker.

Kósa, Ferenc 1937-, Ungarn, Regisseur.

Lenin, Vladimir Ilich 1870-1924, Russland, Politiker, Revolutionär.

Magyar, Dezső 1938-, Russland, Regisseur.

Maetzik, Kurt 1911-2012, Deutschland, Regisseur.

Makavejev, Dušan  1932-, Serbien, Regisseur.

Menzel, Jiří 1938-, Tschechien, Regisseur.

Mihle, Rudolf 1937-2008, Tschechien, Regisseur.

Nemec, Jan 1936-2016, Tschechien, Regisseur.

Passer, Ivan 1933-, Tschechien, Regisseur.

Pintilie, Lucian 1933-, Rumänien, Regisseur.

Polanski, Roman, 1933-, Polen, Regisseur.

Sára, Sándor 1933-, Ungarn, Regisseur.

Schorm, Evald 1931-1988, Tschechien, Regisseur.

Skolimowski, Jerzy 1938-, Polen, Regisseur.

Stojanović, Lazar 1944-2017, Serbien, Regisseur.

Szabó, István, 1938-, Ungarn, Regisseur.

Tito, Josip Broz 1892-1980, Jugoslawien, Staatsoberhaupt.

Vihanová, Drahomíra 1930-2017, Tschechien, Regisseur.

Vogel, Frank, 1929-1999, Deutschland, Regisseur.

Wajda, Andrzej 1926-2016, Polen, Regisseur.

Zhelyakova, Binka Dimitrova 1923-2011, Bulgarien, Regisseur.

Želimir Žilnik, 1946- , Serbien, Regisseur.