Es gab verschiedene Arten der Zensur: Präventiv- bzw. Vorzensur, Repressiv- bzw. Nachzensur sowie Selbstzensur. Die Vorzensur wurde im institutionellen Rahmen von einer Behörde durchgeführt, die Texte bewertete, editierte oder ihre Veröffentlichung aufgrund bestimmter zentraler Richtlinien untersagte. Die Nachzensur umfasste die Selektion und Eliminierung bereits publizierter Dokumente (einschließlich der Bücher und Flugblätter, die aus dem Ausland beschafft und illegal vertrieben wurden). Mit der Selbstzensur legten sich die Autoren selber Einschränkungen auf, indem Sie ihre ursprünglichen Gedanken zugunsten systemkonformer Phrasen aufgaben. Oder aber sie ließen vor der Veröffentlichung gezielt Informationen in ihren Werken aus.
[1]http://cultural-opposition.eu/courage/file/n237853/Havel_V%C3%A1clav_kartony+%2816%29.JPG Vaclav Havels Briefe aus dem Gefängnis an seine Ehefrau
Definition:
Der Begriff ‘Zensur’ leitet sich vom lateinischen censura (dt. Ermittlung) ab und umfasste in seiner ursprünglichen Bedeutung die Beurteilung eines Schriftstücks. Im mitteleuropäischen Raum blickt die staatliche Zensurpraxis auf eine jahrhundertelange Tradition zurück. In allen absolutistischen Herrschaftssystemen (ob in höfischer oder aufgeklärter Form) wurde der Informationsfluss aus politischen, moralischen, religiösen oder ideologischen Beweggründen kontrolliert.
Abbildung 1: Regionale und zeitliche Transformation der Zensur
Der Zeitraum von 1945 bis 1989 war jedoch alles andere als homogen: Er kann in mehrere zeitlich und geografisch getrennte Phasen aufgeteilt werden. Die Jahre 1945-1953 wurden maßgeblich von Stalin, dessen Regime und dem Beginn des Kalten Krieges geprägt; wohingegen die Zeit von 1956 bis 1989 nahezu vollständig vom Kalten Krieg und seinen Folgeereignissen bestimmt war. Mancherorts wurde die totalitäre Diktatur nach und nach von einer milderen Form abgelöst (vgl. hierzu die Ära Kádár in Ungarn). In Rumänien, der DDR, den baltischen Staaten und während des Ausnahmezustands in Polen blieb stattdessen die repressive kommunistische Herrschaft in ihrer reinsten Form bis zum Ende bestehen.[1]
Die unterschiedlichen Zensurarten (direkte Zensur, verdeckte Zensur und Selbstzensur) konnten theoretisch zwar nebeneinander bestehen, doch waren es in der Regel die verdeckte Zensur und die Selbstzensur, die zeitgleich existierten und den intellektuellen Austausch der Region beeinflussten. Wie am Zensur-Diagramm ersichtlich, wurde im Zeitalter des Totalitarismus die klassische Zensur in ihrer reinsten Form praktiziert. Indessen griff man in der Ära der weichen Diktatur und während des Entspannungsprozesses des Kalten Krieges eher zur verdeckten Zensur und Selbstzensur.
[1] Erstellen Sie eine Zeittafel über die kommunistischen Herrschaft in Ihrem Land. Wie viele Zeitabschnitte können Sie mithilfe des Geschichtsbuches und anderer Quellen ermitteln?
Zensur in der Praxis
Das Zensurverfahren lief nach einem festen Schema ab und gliederte sich wie folgt: Vorlage des Manuskripts – Zensor #1: Genehmigung für das Abtippen – Korrektur des Drucks (Zensor #2) – Druckfreigabe – Beginn des Druckprozesses – Aushändigung mehrerer Kopien an höhere Instanzen (an den Staatssicherheitsdienst, das Amt für Zensur der Kommunistischen Partei, in Sonderfällen Übergabe einer Kopie an die Sowjetunion).
Abbildung 2: Das Zensurverfahren. Vier mögliche Stufen des Eingreifens durch die Regierung. Nach dem gleichen Muster wurden auch andere Kulturgüter während ihres Entstehungsprozesses abgefertigt
Es gab, mit anderen Worten, mehrere Entscheidungsträger, die für das Verfahren zuständig waren; wobei Moskau das letzte Wort bei der Publikationsgenehmigung besonders sensibler Themen und Werke hatte. Wie in vorstehender Abbildung gezeigt, wurde ein Text von einem Zensor bereits gelesen und überprüft, sobald er in Form eines Manuskripts vorlag. In jeder Phase des Produktionsprozesses konnten am neu entstehenden Text/Werk Änderungen vorgenommen oder die Produktion ganz eingestellt werden.
Die Zensur hatte zwei wesentliche Funktionen: Ihre primäre Funktion war es, landesweit den Zugang zu Informationen, die nicht systemkonform waren und den Staatsbürgern vorenthalten werden sollten, zu behindern. Bei der Verfolgung dieses Ziels konnten Publikationen sogar beschlagnahmt werden.[1] Daher wurde der Kulturaustausch mit der westlichen Welt eingeschränkt und unter Kontrolle gehalten. Um sie zum Schweigen zu bringen wurden Künstler, die der Regierung missfielen, ins Gefängnis gesteckt, deportiert oder in psychiatrischen Anstalten untergebracht. Danach war ihre Existenz zerstört, und sie waren manchmal sogar gezwungen auszuwandern.
[1] http://cultural-opposition.eu/courage/file/n15265/HR-HDA-1780-1_web.jpg Beschluss über das Verbot einer kroatischen Zeitschrift.
Die sekundäre Funktion war es, durch Kontrolle und „Korrektur“ einen öffentlichen dogmatischen Diskurs zu etablieren, der den neuen „sozialistischen Menschen“ und einen „sozialistischen Realismus“ in der Kunst und Kultur definierte. Diese Standardisierungsbemühungen drangen in jedes Segment der Gesellschaft durch: von der Bildung, über Kanäle der Massenkommunikation bis hin zu der Repräsentation eines vorgeschriebenen Wertesystems.
Die oberste Behörde zur Kontrolle der Zensur in der UdSSR, die 1922 gegründet wurde, war die Hauptverwaltung der Angelegenheiten der Literatur und des Verlagswesens (GLAVLIT) unter Aufsicht des Ministerrates. Sie war mit Zentralstellen und örtlichen Niederlassungen in allen sowjetischen Staaten vertreten, und diente als Vorbild für die Zensurpraxis. Ihr Zuständigkeitsbereich umfasste in erster Linie die Verhinderung von Publikationen im Presse- und Rundfunkbereich, die Staatsgeheimnisse gefährden konnten. In den Ländern mit einem totalitären Regime, z. B. der Ära des offenen stalinistischen Terrors zwischen 1947/49 und 1953, diente die Zensur außerdem auch als eine Art Schutzmechanismus, um potenzielle Bestrafungen, Gefangenschaft, und Terror zu umgehen.
Es waren sich jedoch nur wenige Menschen darüber im Klaren, was tatsächlich verboten war, wodurch die Absurdität dieser Zeit nachdrücklich untermauert wird. Überdies war Einschüchterung ein effektives Mittel, um Gehorsam gegenüber dem herrschenden Regime zu erzielen.
Offizielle politische und ideologische Kurswechsel, die regelmäßig zur Änderung von Daten, Namen und Fakten führten, erschwerten die Zensurarbeit; was einmal verboten war, wurde zu einem anderen Zeitpunkt erlaubt, ausgenommen einiger Tabus, wie z. B. der negativen Aspekte der Beziehungen zur Sowjetunion, der Situation (religiöser, ethnischer) Minderheiten, der prekären Wirtschaftslage, etc. Die Verbotslisten, die in Zeiten offener Diktatur existierten, wurden nach Regimewechsel zerstört, sodass nur wenige Quellen dieser Art bis heute erhalten sind. Im Gegensatz dazu waren in Zeiten der verdeckten Zensur die wenigen explizit formulierten Zielsetzungen und inhaltlichen Empfehlungen gar nicht erst schriftlich fixiert.
In offiziellen Schreiben waren die häufige Verwendung der „Wir-Form“ sowie Aussagen, die im Namen der „Partei“ verfasst wurden, charakteristisch: Dieses unpersönliche und gemeinschaftliche Stilmittel setze dem Individuum die Kollektivmaske auf und betonte die Überlegenheit der Regierung. In den frühen Jahren der Diktatur wurde in jedem Staat ein Index erstellt, der Titel und Namen verbotener Bücher und Autoren enthielt. Die aufgelisteten Werke wurden allesamt zerstört und im wahrsten Sinne des Wortes verbrannt.[1] Paragraphen, Verse und Textabschnitte wurden für gewöhnlich gelöscht oder umgeschrieben (z. B. wurden nach einer von der Partei ausgestellten Liste in Ungarn zwischen 1945-1953 über 1,700 Titel und schätzungsweise 150,000 Kopien zerstört). Dabei beinhalteten diese nicht nur faschistische und antisemitische Texte, sondern auch ungarische und internationale Literaturklassiker, in denen bürgerliche Werte thematisiert wurden.
Im Vergleich dazu war die verdeckte Zensur viel unvorhersehbarer, da man oft nicht wusste, was erlaubt war und was nicht. Autoren hatten auch die Möglichkeit, mit der Regierung zu verhandeln und zu feilschen. In Ungarn zum Beispiel verkündeten die Machthaber voller Stolz, dass es „in ihrem Land keine Zensur“ gäbe. Im rechtlichen Sinne entsprach dies auch der Wahrheit: Es existierte tatsächlich keine offizielle Zensurbehörde. Nichtsdestotrotz wurde jede Publikation, jeder Film und jede Vorführung von der Regierung kontrolliert und konnte vor, während oder sogar nach der Veröffentlichung bzw. Fertigstellung noch eingeschränkt oder verboten werden. Mit György Aczéls berüchtigten „3Ts“ (Verbot, Toleranz und Unterstützung) wurde die permanente Kontrolle des gesamten kulturellen Bereichs eingeführt. Auf diese Weise konnte man die Veröffentlichung von Ideen verhindern, die den Werten der sozialistischen Kultur und Ideologie widersprachen. Diejenigen, die das System offen kritisierten[2] (z. B. durch Themen die Kirchen, Minderheiten, Beziehungen zur Sowjetunion oder die Revolution betrafen) waren in der Regel ernsthaften Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt. Gegen den ungarischen Schriftsteller Sándor Csoóri wurde zum Beispiel 1983 wegen eines Buches ein Ausreiseverbot verhängt. Es verwundert daher nicht, dass sich Künstler und Intellektuelle zu Zeiten der verdeckten Zensur einer metaphorischen Sprache bedienten. Diejenigen, die am philosophischen und ideologischen Diskurs teilhaben wollten, mussten dazu in der Lage sein, zwischen den Zeilen zu lesen, um Bedeutungen und Werte sinngemäß erfassen zu können. Man musste außerdem regelmäßig Nachrichten sowie die Bekanntmachungen der Partei verfolgen, um auf dem Laufenden zu sein. Dadurch wusste man, wer bestraft wurde und konnte sich besser in die stigmatisierten Personen hineinversetzen. Diejenigen, die sich offen gegen das Regime aussprachen, wurden verfolgt und als Kriminelle oder als Personen, die sich in der Grauzone zwischen Legalität und Illegalität bewegten, verunglimpft. Manchmal wurden sie auch weggesperrt[3], um so ihren gesellschaftlichen Einfluss zu verringern.
Die verdeckte Zensur wurde in erster Linie von einer hierarchisch niedrigeren Gruppe ausgeübt: Für die Überprüfung der Werke waren Manager, Redakteure und Leiter von Zeitungen, Verlagen, Theatern und Kulturzentren zuständig. Bereits in dieser frühen Phase wurden Änderungen an den Werken vorgenommen oder aber man ließ die Druckfreigabe einfach „auf die lange Bank schieben“. Die sogenannten 3Ts wurden zu den 4Ts erweitert: Neben Unterstützung, Toleranz, und Verbot führte man in Fällen, in denen der Parteifunktionär keine Entscheidung treffen konnte, nun auch das „Shuffle-Prinzip“ ein. Nachdem das Werk in erster Instanz genehmigt wurde, lag die Entscheidungsgewalt bei der nächsthöheren Ebene: dem Ministerium, einer kulturellen Einrichtung, einem Amt, wie z. B. der Generaldirektion des Verlagswesens in Ungarn oder sogar bei einer „verantwortlichen Person“ aus der Staatspartei.[4] Auf dieser Ebene wurde das Werk mehrmals herumgereicht, bis der Stempel „genehmigt“ auf der bis dato noch unveröffentlichten Arbeit erschien. Stellte man dabei einen Verstoß gegen die Zensurauflagen oder parteiwidrige Details fest, wurden die Publikationen beschlagnahmt und derjenige, der die Genehmigung erteilte, bestraft. In den 1980er Jahren, gegen Ende der weichen Diktatur, konnte sich die Opposition mehr Raum verschaffen, um ihre Ansichten offen zu vertreten – soweit das im Rahmen der Verbote möglich war und solange Informationen über ihre Aktivitäten nicht zu den breiteren Schichten der Gesellschaft vordrangen.[5]
Selbstzensur stellt ein großes Hindernis für künstlerische Freiheit und Kreativität dar. Der Künstler muss sich der vorherrschenden Norm unterwerfen und die Regierung kann ihre Interessen uneingeschränkt durchzusetzen. Aufgrund ihrer Art und Funktionsweise führt eine Zensur automatisch zur Selbstzensur. Das ist es, was sie so effektiv macht. Und jeder, der in der Öffentlichkeit präsent sein möchte, ist dazu gezwungen sie einzusetzen. Selbstzensur war in der gesamten Region verbreitet: Anfangs wurde sie aus Angst vor Terror und ideologisch motivierter Bestrafung betrieben. Später war es die Bedrohung der Existenz, eine durch Arbeitslosigkeit hervorgerufene Notlage und schließlich auch der Wunsch nach sozialem Aufstieg sowie beruflichem Erfolg, die zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit führten, sowie auch zur Überprüfung und Revision der ursprünglichen Gedanken im kreativen Schaffensprozess.
Übungen zur Zensur:
Untersuchen Sie die Geschichte Ihres eigenes Landes in der Zeit von 1945 bis 1989 in Hinblick auf Zensur und kulturellen Widerstand. Bestimmen Sie Zeitrahmen und spezifische Merkmale der Zensurpraxis.
Überlegen Sie sich anschließend mithilfe Ihres Lehrers etwa fünfzehn Wörter und diskutieren Sie, welches der Wörter oder Ausdrücke zu einer bestimmten Zeit in einer Publikation erscheinen durfte. Stimmen Sie ab und vergleichen Sie, inwieweit Ihre Meinungen auseinander gehen. Schafft es die Gruppe zu einer Übereinstimmung zu kommen und die Werte, die vom System vorgeschrieben wurden, wiederzugeben?
Wiederholung
- Was bedeutet Zensur?
- Wie viele Arten der Zensur gibt es?
- Wie funktionierte die Zensur während des Staatssozialismus? (Darstellung durch die SchülerInnen anhand eines Diagramms, das für die Tafel ausgedruckt und ausgeschnitten wurde.)
- In welchen Bereichen entwickelte sich der zivile Widerstand gegen die Staatsmacht?
- Was bedeutete die Redensart „zwischen den Zeilen lesen“ in diesem zeitlichen Kontext?
- Was versteht man unter der Forderung nach einem Sozialistischen Realismus?
- Wofür stehen die 3Ts und die 4Ts?
- Welche Arten von Texten und Werken könnten heute verboten werden? Kann man von einer Zensur der Marktwirtschaft sprechen?
Bilder aus der Courage-Datenbank:
http://cultural-opposition.eu/courage/display/n3559: Buchzensur.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n64632/01.jpg : Liste verbotener Bücher und Zeitungen.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n44062/Carnete+4.jpg: Notizbücher zu Filmen, die ohne Zensur synchronisiert wurden.
http://cultural-opposition.eu/courage/display/n21814: Materialien einer verbotenen Präsentation.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n26297/uploaded_image: Gelöschte Widmung: Der Komponist des Liedes wurde von der Zensur dazu gezwungen.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n3852/IMG_8649.JPG: Ungarisches Gedicht, das von der Zensur verboten wurde.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n15545/adrian-marino-cenzura-in-romania.JPG: Denkschrift Rumäniens gegen die Zensur ausländischer Werke.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n15265/HR-HDA-1780-1_web.jpg: Beschluss über das Verbot einer kroatischen Zeitschrift.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n27495/FotoNeg.14.1.4.jpg: puha diktatúra idején a Mozgó Világ vita az ELTE jogi karán.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n237853/Havel_V%C3%A1clav_kartony+%2816%29.JPG Vaclav Havels Briefe aus dem Gefängnis an seine Frau.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n26581/HR-HDA-640-8.jpg Unterlagen der kroatischen Ideologiekommission, die Inhalte von Presseartikeln, Publikationen, Kunstwerken und Vorführungen überwachte.
http://cultural-opposition.eu/courage/file/n21274/fortepan_125360.jpg Fotografien des Underground-Nachtclubs Fekete lyuk (dt. Schwarzes Loch).
[1] http://cultural-opposition.eu/courage/display/n3559: Buchzensur.
[2] http://cultural-opposition.eu/courage/file/n15545/adrian-marino-cenzura-in-romania.JPG: Rumänische Denkschrift gegen die Zensur ausländischer Werke.
[3] http://cultural-opposition.eu/courage/file/n237853/Havel_V%C3%A1clav_kartony+%2816%29.JPG Vaclav Havels Brief aus dem Gefängins an seine Frau.
[4] http://cultural-opposition.eu/courage/file/n26581/HR-HDA-640-8.jpg Unterlagen der kroatischen Ideologiekommission, die Inhalte von Presseartikeln, Publikationen, Kunstwerken und Vorführungen überwachte.
[5] http://cultural-opposition.eu/courage/file/n27495/FotoNeg.14.1.4.jpg Eine Diskussion an der juristischen Fakultät der Universität Eötvös über die Zeitschrift Mozgó Világ in Zeiten der sanften Zensur.